Die Herstellung einer Riegelhaube
des 19. Jahrhunderts


Teil 1

 

Zur Geschichte und Definition einer Riegelhaube, siehe die Riegelhauben-Anleitung fürs 18. Jh. Die dort beschriebenen Riegelhauben wurden bis um 1800/1805 getragen, von älteren Damen sicherlich auch darüber hinaus.

In den Jahren danach wurde die Riegelhaube kleiner, bis hin zum kaum mehr als handtellergroßen Hinterkopf-Aufsatz des Spätempires und Hochbiedermeiers (ca. 1820-1830), und danach wieder größer. Ab ca. 1840 veränderte sich die Riegelhaube nicht mehr - sie war offenbar zum Fossil geworden. Es ist möglicherweise den Bemühungen des Königshauses zu verdanken, daß sie überhaupt so lange überlebt hat. Szeibert-Sülzenfuhs1 hat eine Quelle von 1880 aufgetan, derzufolge zu Zeiten Ludwig I. auf Bürgerbällen "die höochsten Herrschaften, und König und Prinzen" vorzugsweise mit riegelhaubentragenden Frauen tanzten (Sz. S. 33). Man kann vermuten, daß das auf Geheiß des Königs geschah, der auch gern Riegelhauben in seiner Schönheitsgalerie sah (z.B. Bild rechts).

Eine Riegelhaube des 19. Jh. kann aus Brokat gemacht sein, mit Borten besetzt und nur wenig oder gar nicht bestickt, aus einfarbigem Stoff und mäßig bestickt, oder ganz und gar bestickt, so daß vom Stoff nichts mehr zu sehen ist. Der einfarbige Stoff kann so ziemlich jede Farbe haben, auch Silbernstoff unter silberner oder Goldstoff unter goldener Stickerei. Es scheint allerdings, daß die Variationsbreite mit der Zeit abnahm: Spätere Exemplare sind fast alle entweder silbern, golden oder schwarz. Die Stickerei auf schwarzen Hauben besteht aus Rocaillen und/oder Stabperlen in schwarz, dunkelblau und manchmal (kenne ich nur von einer einizgen erhaltenen Haube) violett. Im Bild links (vergrößerbar) aus dem Münchner Stadtmuseum sind zwei Hauben aus Brokat, eine aus Samt und eine aus Satin-Samt-Streifen.

Es wird oft behauptet, daß unverheiratete Frauen silberne Riegelhauben trugen, verheiratete goldene und Witwen schwarze. Für das 18. Jh. stimmt das offenbar nicht: Bisher habe ich nur golden bestickte Hauben finden können, eine davon auf dem Kopf eines kleinen Mädchens. Im 19. Jh. gibt es ein Doppelbildnis eines jungen Ehepaares (1815, Sz 39): die Frau trägt silber, ebenso wie eine junge Mutter um 1810 (Sz 67), Mutter und Großmutter um 1805 (Sz 86). Eine Kellnerin trägt 1841 Gold (Sz 90), und daß eine verheiratete Frau als Kellnerin arbeitet, ist für diese Zeit eher unwahrscheinlich. Je weiter es ins 19. Jh. geht, desto eher scheint es zu stimmen, daß junge Frauen eher Silber tragen. Es könnte durchaus eine Frage des Alters und nicht so sehr des Ehestandes sein: Im 19. Jh. war es üblich, mit fortschreitendem Alter immer gedecktere, dunklere Farben und zurückhaltendere Muster zu wählen. Möglicherweise paßten silberne Hauben eher zu den hellen, klaren Farbtönen der Jugend, während schwarz gut zu den gedeckten Farben des Alters paßt - und Alter und Witwentum gingen oft Hand in Hand. Es könnte aber auch eine Finanzfrage gewesen sein: Damals fiel der Materialpreis noch eher ins Gewicht, und Silber ist nun mal billiger.
Eine schwarze Riegelhaube habe ich noch in keinem Portrait gesehen. Es sind aber auch eher die jungen Frauen, die portraitiert wurden.

Solange nicht gesichert ist, ob die Haubenfarbe vom Ehestand abhängt (und bisher sind mir keine entsprechenden Quellen bekannt), gibt es keinen triftigen Grund, dieser Interpretation allzuviel Bedeutung beizumessen2. Wer sich die horrende Arbeit macht, eine Riegelhaube selbst zu fertigen, sollte sich eher davon leiten lassen, was farblich zur eigenen Gesichts- und Haarfarbe bzw. zum Rest der Tracht paßt - zumal rein goldene oder silberne Riegelhauben relativ leicht und, in Relation zur vielen Arbeit, auch günstig im Antiquitätenhandel zu finden sind. Neben handwerklicher Neugier kommen also eigentlich nur Sonderwünsche als Grund für die Mühe des Selbermachens in Frage.

Wie auch die Ahnin des 18. Jh. besteht die Riegelhaube des 19. Jh. aus Haubenboden (dem halbovalen Teil, das den Hinterkopf bedeckt), Haubenrand (dem Streifen, der von Ohr zu Ohr reicht) und einer steifen, funktionslosen Schleife, die in Wirklichkeit nur das Symbol einer Schleife ist. Im 18. Jh. ist der vordere Teil des Haubenrandes von einer gewebten Borte oder einer aus Hohlspitze bedeckt und der hintere Teil bestickt. Der Haubenrand wird dadurch entlang seiner Länge in zwei Hälften geteilt. Im 19. Jh. ist es ähnlich: Es werden zwei, jeweils getrennt bestickte, Streifen aufgesetzt und getrennt mit Watte unterfüttert. Wo sie aufeinandertreffen, werden üblicherweise "Nägelchen" (hutförmige Folien) aufgesetzt, um die Grenze zu verdecken und doch gleichzeitig zu betonen. Die drei Querstreifen auf der Schleife sowie der Riegel werden, anders als im 18. Jh., nur noch selten aus Borten gefertigt, sondern bestehen aus bestickten und gleimten Streifen des Grundstoffs.

Um die Technik zu lernen und damit dann meine Riegelhaube des 18. Jh. zu machen, habe ich einen Kurs bei der Münchner VHS besucht. Das ist sehr zu empfehlen, weil eine geschriebene Anleitung nicht so viel leisten kann wie eine erfahrene Kursleiterin - zumal dieser Anleitung die Bilder vom Fertigungsfortschritt fehlen werden, bis ich mich entschließe, eine Biedermeier-Riegelhaube zu machen. Und das kann lange dauern, weil ich genug gut erhaltene Originalexemplare habe. Aber: In dem Kurs wurde, wie auch meist bei Trachtenvereinen, mehr Wert auf die Optik als auf die authentische Verarbeitung gelegt. Das ist in dieser Anleitung anders.

 

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1) "Sz" steht hier und auf den folgenden Seiten jeweils für: Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die Münchnerinnern und ihre Tracht : Geschichte einer traditionellen Stadttracht als Spiegel der weiblichen Bürgerschicht. Dachau: Verlagsanstalt Bayernland, 1997
2) Ich habe den Verdacht, daß diese Interpretation im Zuge der Wiederbelebung durch Trachtenvereine entstand. In einem Verein - noch dazu außerhalb eines Dorfes, in dem jeder jeden kennt - ist es vermutlich wichtig zu wissen, wer noch zu haben ist. Die Legende von der links oder rechts gebundenen Schürzenschleife vermute ich ebenfalls in diesem Umfeld, aus den gleichen Gründen.