Vorbemerkung: Bis um 1800 trug frau einen Schnürleib oder eine Schnürbrust, zuweilen auch ein steifes Mieder. Von Korsetts war erst ab dem Empire die Rede. Ich benutze die Begriffe, um die sehr verschiedenen Formen vor und nach 1800 zu unterscheiden. Wenn durch den Kontext klar ist, wovon ich rede, bezeichne ich zuweilen auch eine Schnürbrust des 18. Jh. als Korsett.
Für eine Frau, die historische Kostüme tragen will, ist ein Korsett unerläßlich, da das beste Kostüm sonst nicht authentisch wirkt. Da kommt dann oft die Frage auf, ob das nicht fürchterlich ungesund und schädlich sei.
Für diejenigen, die es kurz und schmerzlos wollen: Nein, normalerweise (also bei gelegentlicher Anwendung) nicht. Begründung folgt.
Natürlich gab es immer Damen, die den Taillenkult übertrieben. Und Eltern, die ihre Töchter schon von Kindesbeinen an zu fest einschnürten. Mädchen bekamen irgendwann zwischen dem 10. und 14. Jahr ihr erstes richtiges Korsett mit Fischbein - eine Initiation wie heute der erste Tampon. Von diesem Tag an ging sie nie wieder ungeschnürt, außer in der Schwangerschaft, und vielleicht nicht einmal dann. Durch dieses frühzeitige Einschnüren wurden die noch weichen Knochen so verformt, daß sie sich dem gängigen Schönheitsideal anpaßten. Etwas 150 Jahre lang wetterten Ärzte gegen die Einengung der Organe, ohne besonderen Erfolg. Daß auch die Brust- und Rückenmuskulatur gelitten haben müssen, war damals anscheinend noch nicht von Interesse.
So, nun aber zu der Frage, warum all diese doch recht üblen Folgen des Schnürens uns heute nicht mehr zu jucken brauchen. Das ist eigentlich ganz einfach: Weil wir ohne Schnüren aufgewachsen sind und unser Skelett seine ihm zugedachte Form behalten durfte. Ein erwachsenes Skelett ist im Wortsinn knochenhart und beugt sich Verformungsversuchen von außen nicht mehr so leicht. Wer im Erwachsenenalter anfangen wollte, das Schnüren zu übertreiben, müßte Monate, wenn nicht gar Jahre am Stück geschnürt gehen, um die Rippen noch ein bißchen zum Nachgeben zu bewegen. Und genau das tut man als Re-enactor oder Schauspieler nicht.
Korsetts des 19. Jh. haben insofern ein gewisses Gefahrenpotential, als sie sanduhrfürmig sind, sich also um die unteren Rippen einwärts biegen. Indem das Korsett durch seine Sanduhrform auf den untersten Rippenbogen mehr Druck ausübt als auf den Rest, ist auch die Chance größer, diesen einen zu verformen. Wer also auf längere Zeit am Stück geschnürt geht, kann sich tatsächlich etwas antun. Andererseits sieht man selbst an den Fotos von Extremschnürern, die selbst nachts Korsett tragen, daß der unterste Rippenbogen eben doch tapfer dagegenhält. Wegen ein paar Stunden oder Tagen im Jahr braucht man sich also keine Sorgen zu machen.
Und was ist mit den Geschichten von Rippenbrüchen und ähnlichen
Horrorstorys?
Nun, ich weiß nicht, was Du für Geschichten gehört
hast, aber manche davon sind erstunken, andere übertrieben,
ein paar sind sensationelle und in der Folge aufgebauschte
Einzelfälle, manche wahr... aber die meisten sind wahrscheinlich
vage Erinnerungen an gehörtes und gelesenes. Zum Thema
Rippenbruch weiß ich z.B. einen Zeitungsbericht aus
dem späten 19. Jh., nach dem eine Frau von einer Kutsche
angefahren wurde, stürzte, sich dabei eine Rippe brach
und ihr zu eng geschnürtes Korsett die gebrochene Rippe
in die Lunge drückte, was zu ihrem Tod führte.
Also: Trage ruhig Korsetts, aber schnüre nicht zu eng.
Und paß mit Kutschen auf. ;)